Wer bin ich?
Ich befand mich eine Ewigkeit in der Dunkelheit, wahrscheinlich 1000 Jahre lang, denn ich erinnerte mich noch an Lebensbedingungen wie im Mittelalter.
Andere Seelen schwirrten auch um mich herum und waren schon vor mir dran. Dann durfte auch ich mal wieder auf die Erde kommen. Ich freute mich. Gott nahm meine Seele und umgab sie mit seiner Heiligkeit. Er schickte mich auf die Erde mit einer Friedensmission. Mit der Mission, von meinem heiligen Vater zu sprechen. Ein schweres Leben zu durchlaufen, denn was brächte mir die Leichtigkeit.
Er schickte mich nach meinem Wunsch in eine mittlere Gesellschaftsschicht und ich hatte noch einen zweiten Wunsch frei. Ich wolle mich immer an ihn erinnern, damit ich mich nicht verirre und meinen Nachhauseweg wieder finde.
Er fand mir noch eine Rolle aus dem Buch des Lebens.
Ich freute mich vor allem auf die Farben.
Und wie sehr wünschte ich mir doch meinen Seelenpartner wieder...
Schon vor meiner Geburt.
KINDHEIT
Dann kam ich auf die Welt. Ich liebte das Grün der Bäume und das Blau des Himmels. Die Bilder der Wolken waren für mich Bilder Gottes. Er malte sie für mich an den Himmel und wollte mir damit etwas mitteilen.
Ich liebte die Farben der Kleider.
Ich wunderte mich über manche Gewohnheiten der Menschen und seltsame Erfindungen wie Autos, Zigaretten und Anstandsregeln, aber ich nahm sie an, denn in diese Zeit wurde ich geboren, auch wenn sie mir nicht gefielen.
JUGEND
Ich hatte Makel, und die mussten weg. War ich nicht schön? Gerade die machten mich doch aus...
Ich musste was lernen, um mal was zu werden - Was denn ?
Ich wurde durch grelles Licht und Geschrei am Morgen aufgeweckt, hatte Schwarzbrot für die Pause, bekam 50 Pfennig Taschengeld pro Woche und trug einen Namen, der alle Kinder dazu verleitete, sich über mich lustig zu machen. Jeden Tag.
Ich war schwarzhaarig mit brauen Augen, doch hatten Blonde und Blauäugige alle Vorzüge.
Ich sammelte mit meinem Bruder Briefmarken, denn man musste ja ein Hobby haben. Mindestens eins. Ich fand sie schön, die Bilder auf den Briefmarken, manche hatten sogar einen Wert. Woran der jedoch bemessen wurde, ist mir heute noch unklar.
Ich malte gern und schön. Manche Kinderbilder müssten heute noch im Keller liegen und dementsprechend riechen. Aber das war ja unnütz.
Ich machte Sport und wurde richtig gut. Aber nie so ganz. Denn vor der Perfektion kam dann immer wieder ein anderer.
Doch am Ende meiner Schulzeit wurde ich auf einmal interessant. Da wurde ich wohl so richtig "Ich". Ich lernte junge Leute vom Fernsehen kennen, war in der Zeitung, schrieb selbst und malte. Ich wurde kreativ und engagiert.
Doch was konnte ich daraus machen? Ich suchte das Weite und ging nach Paris. Mein "Ich" zu leben, endlich Liebe finden, künstlerische Wege zu entdecken.
PARIS
Ich studierte, was ich konnte und was mir als Fremde blieb. Verschiedenes und immer wieder. Literatur, ein bisschen Wirtschaft, ein bisschen Kommunikation. Nützliches für diese Welt. Die Kunst verlernte ich schnell, da mir das Fuß fassen und die Suche nach der Liebe meine Zeit raubte.
Das mit der Liebe war dann so eine Sache. Ich war noch nicht einmal richtig angekommen, da überfiel mich auch schon die erste Enttäuschung. Und die Zweite folgte gleich hinterher. Dass die dritte auch eine sein sollte, wusste ich natürlich auch nicht. Das war meine erste große Liebe. AUS.
Die zweite Größere war wohl nur eine Notlösung, um die erste zu verdauen. Und als auch diese im Unheil endete, war mir eines Tages, als käme etwas Göttliches. Es war groß, vibrierend, himmlisch, so unglaublich, dass ich es gar nicht glauben wollte, und stellte es vor lauter Angst gleich wieder ab. Doch war da schon Gott im Spiel, aber ich konnte es nicht glauben. Ich war wie Thomas.
So musste also eine dritte Beziehung kommen, eine Vernunftsbeziehung. Sie konnte ich besser halten. Alles passte. Die Haarfarbe, die Augenfarbe, die Herkunft, das soziale Milieu. Er entsprach genau den elterlichen Erwartungen. Vielleicht fand ich ja damit, was ich immer suchte?
Liebe?
Nein. Nur Materielles. Doch was nützt dem Menschen das Materielle, wenn er die Liebe nicht hat?
Erwartet wurden nun Kinder, da der menschliche Erwartungshorizont gegenüber der anderen unersättlich ist.
Erwartet wurde nun Hingabe.
Erwartet wurde von allen alles.
Ich erwartete nichts.
Es kam auch nichts.
Also suchte ich in anderen Bereichen mein Glück. So investierte ich mich in meine Arbeit. Nach dem Studium der Medientechnik kam der Erfolg schnell. Multimediaprojekte, amerikanische Großunternehmen, Internationalisierung, 60-Stunden-Woche, 10% Lohnerhöhung jedes Jahr, ein dickes Pressbook... ein Management-Studium.
Wohin trieb mich dieser Wahn?
Eines Tages in die Arbeitslosigkeit.
Da besann ich mich auf meine Grundkompetenzen zurück, die meine Muttersprache und der Umgang mit Menschen waren.
Ich wurde Beamtin. Das hätte ich mir in meiner Jugend nie gedacht.
Lehramt.
Es ist ein sehr kreativer Job mit vielen Freiheiten.
Endlich keinen Chef mehr, der die Lorbeeren für meine getane Arbeit einsteckt.
Sozialer Kontakt mit unfertigen Menschen. Doch in welche Richtung tendieren diese alle? Es gibt in ihrem Alter noch Möglichkeiten, sie vom falschen Weg abzuhalten. Auch wenn viele schon sehr festgefahren darin sind.
Dann ist da auch das Problem des Laizismus, den ich mal eher mit Atheismus hierzulande gleichsetzen würde. Wo ist Gott in diesen Menschen und warum darf man nicht von ihm reden? Was hat er ihnen denn getan?
Zwei Mädchen waren inzwischen da. Auch in sie investierte ich all meine Liebe und Kraft. Wozu ? Gott - oder die Welt?
HEUTE
Als ich einmal eines meiner Mädchen zur Kommunion bringen wollte, freiwillig, ohne Zwang und ohne Erwartung anderer, sagte mir mal ein Pfarrer, ich würde auferstehen. Es war ein Aschermittwoch.
Ja, ich war eigentlich tot. Ich lebte nur für die Welt. Nur für die anderen. Nicht für mich. Nicht für Gott.
Ich war gerade 50 Jahre alt gewesen und 50 Jahre lang war es so.
Da begann Gott sich wieder zu zeigen. Und ich spürte ihn. Wahrscheinlich weil ich definitiv mit dieser Welt nichts mehr anstellen konnte. Wahrscheinlich weil er sah, dass ich ihm mein Kind bringe. Dass ich wieder zu ihm gehe.
Ich konnte es nicht glauben. Ich ? Auferstehen?
Es war Gnade, die über mich kam und ich begann zu schreiben.
Der erste Satz, den ich geschrieben hatte lautet:
GOTT GIBT ES.
Obwohl er sich mir noch gar nicht offenbart hatte.
Ich spürte ihn.
Erst schrieb ich kleine Texte. Über Kindheitserinnerungen. Prophetische Texte. Über den Verfall der Gesellschaft. Dystopie. Über die Schönheit der Welt.
Die Texte begannen sich zu reimen.
Es wurden Gedichte.
Immer mehr
und immer mehr.
1000 Gedichte!
Sie waren erfüllt von Weisheiten.
Sie kamen mir in der Nacht, sie wurden mir durch Gottes Stimme diktiert. Über ein Jahr lang. Dazu gehörten oft Bilder. Aus den Bildern entsprang die Poesie. Aber sie kam so schnell, dass ich mir sie kaum merken konnte.
Ich schlief mit Heft und Bleistift ein, damit ich durch mein Wachwerden keine Worte vergesse.
Gott und ich sprachen miteinander. Dass das geht, merkte ich erst, als ich einmal etwas mehr wissen wollte. Ja, Gott antwortet auch. Er schenkt dir alles, was du willst. Aber nichts Materielles. Dafür sind wir selber zuständig. Er schenkt dir vor allem Liebe, Achtsamkeit, Respekt, alles was du verdient hast.
Verdient - weil gedient.
Man wird heilig. Man wird wie er. Nur in klein. Man vibriert. Ist elektrisch. Man spürt seinen eigenen Heiligenschein. Man erhebt sich, fliegt fast. Das ist Erhabenheit. Erst seitdem mir das passiert war, wusste ich, warum der Heiligenschein immer weiß oder golden auf den Bildern abgebildert war. Man wird hypersensibel. Alle Sinne öffnen sich gleichzeitig, wie eine verkrampfte Blume. Wahrscheinlich hat man sich aufgrund der Messerhiebe so sehr verschlossen, dass man seinen Schatz schützen musste.
Der Grabstein vor dem Herzen wird beiseite gerollt und das Herz öffnet sich wie eine Rose.
Alles kann hinein. Alles kommt heraus.
Es war der Beginn einer regelrechten Entfaltung.
Tränenüberströmt vor der Schönheit des Moments oder der Bewusstwerdung des eigenen Schicksals.
Aus dieser Rose kamen die schönsten Gedichte, die er mir mit seiner tiefen klaren Stimme ins Ohr setzte. Er sagte mir alles, was ich über ihn verstehen konnte. Sogar Dinge, die ich nicht verstand. Einmal sprach er in Latein. Einmal philosophierte er über den Wesensgrund, ein Wort, das ich noch nie in meinem Sprachgebrauch verwendet hatte. Zumindest nicht in diesem Leben. Und einmal wollte er mir eine Partitur diktieren, aber mir die Buchstaben der Noten zu merken, war dann doch etwas viel verlangt, für mein musikalisches Kleinhirn.
Also schrieb ich alle meine Gedichte auf und tippte sie fleißig ab.
Einige davon entsprangen Bildern. Einige schenkten mir durch die Worte Bilder.
Dann kamen richtige Bilder. Starke. Visionen. Bilder, die etwas bedeuten, etwas aussagen wollen. Eine Nachricht verbergen. Eine Warnung. Bilder, die ich malte und dann in Wirklichkeit sah. Bilder aus der Wirklichkeit, die Sinn bekamen.
Und ich begann zu malen. Erst zaghaft mit Bleistift und Holzbuntstiften, dann mit Wasserfarben, Aquarell, bis ich es dann wagte, mir mal Acrylfarben und richtige Pinsel zuzulegen.
So malte ich philosophische Bilder. Ich könnte malen und malen. Berge von Bildern warten noch darauf, von mir gemalt zu werden.
Malen dauert nur etwas länger als dichten.
Man braucht Zeit. Sobald ich Zeit finde, ein längeres Stück, male ich.
Malen ist lieben.
Wollen die Menschen überhaupt geliebt werden?
Sie können es kaum.
Ich liebe die Menschen, auch wenn sie noch so schrecklich zu mir sind, denn sie haben mich geformt wie einen Edelstein.
Ich liebe die armen Menschen in Not, Menschen die nicht so sind, wie man von ihnen erwartet, weil ich selbst diese Rolle schon gespielt habe.
Und ich liebe Gott. Er ist mein bester Freund.
Er ist mein Vater. Mein Bruder. Mein Lehrer. Mein Kumpel. Mein heiliger Geist.
Er ist alles.
Einmal in meinem Leben dankte ich einem Menschen für alles.
Aber erst dann kam es. Alles.
Er war es, der mir Gott schenkte.
Nun habe ich bald die Gelegenheit, meine Bilder in einer Kirche auszustellen und ich freue mich, diesen Menschen dort zum ersten Mal von meinen Bildern zu erzählen. Ihnen zu zeigen, dass Gott der Urgrund dieser Entfaltung ist.
Eine Entfaltung durch den Heiligen Geist.
Wie Jesus es wurde, als er sich entfaltet hatte im Grab. Das Tuch schön gefaltet und unnötig auf die Seite legte, da er in Fülle im Himmel lebte.
Genau so geht es mir heute.
Ich lebe im Himmel von Paris.
Danke, lieber Gott.
Danke für alles.